Tarifvertragliche Sonderzuwendung: Tarifvertrag darf Rückzahlung bei Ausscheiden bis zum 31. März des Folgejahres vorsehen

In Tarifverträgen kann der Anspruch auf eine jährliche Sonderzahlung vom Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Stichtag außerhalb des Bezugszeitraums im Folgejahr abhängig gemacht werden. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt.

Der Beklagte arbeitete seit 1995 als Busfahrer im Verkehrsunternehmen der Klägerin. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme ein Tarifvertrag Anwendung, der einen Anspruch auf eine bis zum 1. Dezember zu zahlende Sonderzuwendung vorsieht. Diese dient auch der Vergütung für geleistete Arbeit. Die Sonderzuwendung ist vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen, wenn er in der Zeit bis zum 31. März des folgenden Jahres aus eigenem Verschulden oder auf eigenen Wunsch aus dem Beschäftigungsverhältnis ausscheidet.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis im Oktober 2015 zum Januar 2016. Mit der Abrechnung für November 2015 zahlte die Klägerin an ihn die tarifliche Sonderzuwendung in Höhe eines Monatsentgelts. Nachdem das Arbeitsverhältnis geendet hatte, verlangte die Klägerin die Sonderzuwendung nach der tarifvertraglichen Regelung zurück. Der Beklagte lehnte das ab, weil die Tarifvorschrift unwirksam sei. Sie verstoße als unverhältnismäßige Kündigungsbeschränkung gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit.

Die Klage war in allen Instanzen erfolgreich. Die Rückzahlungsregelung wäre nach der Rechtsprechung des BAG allerdings unwirksam, wenn sie als arbeitsvertragliche Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) einer Klauselkontrolle nach § 307 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu unterziehen wäre (dazu Entscheidung vom 18.01.2012,10 AZR 612/10). Arbeitsvertraglich in ihrer Gesamtheit einbezogene Tarifverträge unterlägen jedoch keiner solchen Inhaltskontrolle, weil sie nur bei einer Abweichung von Rechtsvorschriften stattfinde, so das BAG unter Verweis auf § 307 Absatz 3 Satz 1 BGB. Tarifverträge stünden nach § 310 Absatz 4 Satz 3 BGB Rechtsvorschriften im Sinne des § 307 Absatz 3 BGB gleich.

Die Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten, die sich aus der tarifvertraglichen Stichtagsregelung ergibt, verstößt nach Ansicht des BAG nicht gegen höherrangiges Recht. Sie verletze insbesondere weder den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz (GG) noch die Berufsfreiheit (Artikel 12 Absatz 1 GG), die die Tarifvertragsparteien bei der tariflichen Normsetzung zu beachten hätten. Den Tarifvertragsparteien stehe dabei aufgrund der durch Artikel 9 Absatz 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu, über den Arbeitsvertrags- und Betriebsparteien nicht in gleichem Maß verfügten. Ihnen komme eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Darüber hinaus verfügten sie über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung. Die Tarifvertragsparteien seien nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genüge, wenn es für die getroffene Regelung einen sachlich vertretbaren Grund gibt.

Die tarifvertragliche Regelung greife zwar in die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ein. Artikel 12 Absatz 1 GG schütze auch die Entscheidung eines Arbeitnehmers, eine konkrete  Beschäftigungsmöglichkeit in einem gewählten Beruf beizubehalten oder aufzugeben. Die Einschränkung der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer sei hier aber noch verhältnismäßig, so das BAG. Die Grenzen des gegenüber einseitig gestellten Regelungen in AGB erweiterten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien seien nicht überschritten.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.06.2018, 10 AZR 290/17