Baulärm kann auch in Großstadt Mietminderung rechtfertigen

Wer in einer Großstadt lebt, muss deswegen Baulärm nicht als ortsüblich hinnehmen. Vielmehr kann ihn von einer benachbarten Großbaustelle ausgehender Lärm gegenüber dem Vermieter zur Minderung der Miete berechtigen. Dies hat das Amtsgericht (AG) München entschieden.

Die Beklagte bewohnt seit 1997 in München eine Wohnung mit 67,18 Quadratmetern, deren Miete seit Oktober 2015 brutto 989,08 Euro beträgt. Sie minderte die Mietzahlungen in den Monaten von Oktober 2015 mit Juni 2016 um insgesamt 1.536,98 Euro und begründete dies mit unzumutbarem Lärm einer benachbarten Großbaustelle, auf der unter Abriss einer früheren Fabrik über hundert neue Wohneinheiten erstellt wurden. Dazu legte die Beklagte ein detailliertes Lärmprotokoll mit eingearbeiteter Fotodokumentation sowie das Ergebnis einer eigenen mehrtägigen Schallmessung vom Mai 2016 vor.

Die Klägerin bestreitet, dass die Baustelle unzumutbare Lärmstörungen verursacht habe. Die gesetzlichen Bauvorschriften seien eingehalten worden. Sie habe die Bautätigkeit aufgrund der erteilten Baugenehmigung auf dem Nachbargrundstück nicht verhindern können. In einer Großstadt müsse mit Bautätigkeiten gerechnet werden, zumal die Beklagte bewusst eine Wohnung neben einer schon stillgelegten Fabrik angemietet habe.

Die unwesentlichen und ortsüblichen Immissionen habe die Vermieterin also gegenüber dem Bauherrn nicht abwehren können. Sie seien von der Beklagten folglich hinzunehmen.

Das AG München, das sich das Bautagebuch einschließlich der dort erfassten Lärmwerte vorlegen ließ und ein Sachverständigengutachten zur Unzumutbarkeit der Lärmbelästigung eingeholt hatte, gab der Beklagten weitgehend Recht. Gemäß § 536 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei die vereinbarte Miete kraft Gesetzes gemindert, wenn die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder (erheblich) mindert, oder ein solcher Mangel während der Mietzeit entsteht. Soweit Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache fehlen, werde der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nach der Verkehrsanschauung bestimmt.

Eine Minderung sei daher entgegen der Auffassung der Klagepartei nicht deshalb von vornherein ausgeschlossen, weil in Großstädten Baulärm regelmäßig hinzunehmen sei. Zwar sei es zutreffend, dass in Großstädten immer irgendwo gebaut wird. Dennoch entspreche es der allgemeinen Verkehrsanschauung, dass man auch in Großstädten in Wohnungen ungestört von Baulärm leben kann. Denn die übergroße Mehrzahl der Wohnungen in Großstädten sei wohl Verkehrslärm, nicht aber Baulärm ausgesetzt.

Das Gericht war nach den durchgeführten Beweisaufnahmen davon überzeugt, dass im streitgegenständlichen Zeitraum von Oktober 2015 bis einschließlich Juni 2016 von der benachbarten Großbaustelle erhebliche Lärm- und Schmutzeinwirkungen auf die Wohnung der Beklagten stattgefunden haben, welche zu einer mehr als unerheblichen Gebrauchsbeeinträchtigung des Mietgebrauchs der Beklagten geführt haben, sodass die zur angemessenen Mietminderung berechtigt gewesen sei. Es hält bei Unterteilung des Baulärms für den Zeitraum Oktober 2015 bis einschließlich März 2016 in Bauphase 1 (Abriss und Grundarbeiten) und für den Zeitraum von April bis einschließlich Juni 2016 in Bauphase 2 (Hochbauarbeiten) eine Minderungsquote ausgehend von der Bruttogesamtmiete in Höhe von 989,08 Euro von 30 Prozent pro Monat für die Bauphase 1 und von 25 Prozent für die Bauphase 2 als angemessen.

Der Sachverständige habe festgestellt, dass im Zeitraum September bis Dezember 2015 an 19 Tagen Lärmimmission gemessen werden konnten, die eine Einwirkung von über 63 Dezibel an der Wohnung der Beklagten ergeben haben, was als wesentliche Beeinträchtigung anzusehen ist. Im Jahr 2016 seien an 160 Tagen wesentliche Überschreitungen der Immissionsrichtwerte zu verzeichnen gewesen, wobei sogar an mehr als 60 Tagen Geräuschbelästigungen von mehr als 70 Dezibel vorhanden gewesen seien. Bei Einzug der Beklagten sei nach der Beweisaufnahme die benachbarte Fabrik noch nicht leer gestanden, sodass sie nicht konkret mit Baumaßnahmen habe rechnen müssen, merkt das AG München abschließend an. Es hat die Klage der Vermieterin auf Zahlung des im Wege der Mietminderung einbehaltenen Mietanteils nahezu vollständig – bis auf einen überhöhten Minderungsbetrag für April 2016 von 63,80 Euro – zurückgewiesen.

Die Vermieterin scheiterte mit ihrer Klage auch in der Berufungsinstanz. Allerdings hat das Landgericht München I in seinem Urteil vom 15.11.2018 wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision zugelassen.

Amtsgericht München, Urteil vom 01.02.2018, 472 C 18927/16, nicht rechtskräftig