Der Steuerpflichtige kann eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes durch ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen nachweisen und damit eine höhere Abschreibung geltend machen, als sich nach der gesetzlichen Nutzungsdauer ergibt. Das Gutachten ist anzuerkennen, wenn es sich auf das konkrete Grundstück bezieht und zu den maßgeblichen Kriterien der Nutzungsdauer wie etwa zum technischen Verschleiß, der wirtschaftlichen Entwertung oder zu rechtlichen Nutzungsbeschränkungen Stellung nimmt.
Hintergrund: Gebäude, die vermietet oder betrieblich genutzt werden, können abgeschrieben werden. Die Abschreibung richtet sich nach der Nutzungsdauer des Gebäudes, die gesetzlich vermutet wird, z. B. 33,3 Jahre für betrieblich genutzte Gebäude, die nicht Wohnzwecken dienen oder – je nach Fertigstellungszeitpunkt – 50 oder 33,3 Jahre für vermietete Gebäude im Privatvermögen. Allerdings kann der Steuerpflichtige eine kürzere Nutzungsdauer nachweisen und dann eine höhere Abschreibung in Anspruch nehmen.
Sachverhalt: Die Klägerin erwarb im Jahr 2013 eine vermietete Grundstückshälfte, auf der sich zwei Gebäude befanden. Sie machte in ihrer Einkommensteuererklärung für 2014 bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung eine Abschreibung von ca. 5,26 % auf Grundlage einer Restnutzungsdauer von 19 Jahren geltend; die gesetzliche Abschreibung hätte 2 % bei einer gesetzlich vermuteten Nutzungsdauer von 50 Jahren betragen. Zur Ermittlung der Restnutzungsdauer legte die Klägerin ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vor, der die Restnutzungsdauer nach den einschlägigen immobilienrechtlichen Regeln bewertet und dabei berücksichtigt hatte, dass bis zum Erwerb durch die Klägerin keine Modernisierungsmaßnahmen erfolgt waren. Das Finanzamt erkannte lediglich eine Abschreibung von 2 % an.
Entscheidung: Der BFH gab der Klage statt und erkannte eine Restnutzungsdauer von 19 Jahren an:
Hinweise: Der BFH macht deutlich, dass eine bestimmte Methode wie z. B. ein Bausubstanzgutachten oder ein bestimmtes Ermittlungsverfahren nicht erforderlich ist, um eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer nachzuweisen.
Die Finanzverwaltung stellt an die Gutachten höhere Anforderungen. Der BFH widerspricht der Finanzverwaltung, weil es für die von der Finanzverwaltung geforderten Anforderungen keine gesetzliche Grundlage gibt. So hält es der BFH für denkbar, dass die Restnutzungsdauer aus einem Verkehrswertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen übernommen wird.
Abschließend entscheiden muss nun das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang. Dort muss noch die Bemessungsgrundlage für die Abschreibung ermittelt werden. Die Klägerin hatte zu Unrecht den Wert für einen Nießbrauch, der ihr an dem Grundstück zustand, als Anschaffungskosten geltend gemacht. Dafür könnten der Klägerin aber Anschaffungskosten aus der Übernahme von Verbindlichkeiten entstanden sein, die bislang noch nicht geprüft worden sind.