Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: Anspruch kann grundsätzlich tariflicher Ausschlussfrist unterworfen werden

Die Geltendmachung des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Absatz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) kann trotz seiner Unabdingbarkeit (§ 12 EFZG) grundsätzlich einer tariflichen Ausschlussfrist unterworfen werden. Eine tarifliche Ausschlussfrist ist laut Bundesarbeitsgericht (BAG) jedoch nach § 3 Satz 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) unwirksam, soweit sie auch den während Arbeitsunfähigkeit nach §§ 3 Absatz 1, 4 Absatz 1 EFZG fortzuzahlenden gesetzlichen Mindestlohn erfasst.

Der Kläger war beim beklagten Bauunternehmen seit 2012 als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Sein Stundenlohn betrug zuletzt 13 Euro brutto. Mit Schreiben vom 17.09.2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.10.2015. Nach Erhalt der Kündigung meldete sich der Kläger arbeitsunfähig krank und legte der Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Während die Beklagte dem Kläger für den Monat September 2015 Vergütung zahlte, verweigerte sie die Entgeltfortzahlung für den Folgemonat. Mit einem der Beklagten am 18.01.2016 zugestellten Schriftsatz hat der Kläger von dieser Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Monat Oktober 2015 verlangt. Er hat vorgetragen, in diesem Zeitraum arbeitsunfähig krank gewesen zu sein und gemeint, sein Anspruch sei nicht verfallen. Die Ausschlussfristenregelung des für allgemeinverbindlich erklärten § 14 Absatz 1 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTVBau), wonach – zusammengefasst formuliert – alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden, sei insgesamt unwirksam, weil sie den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehme.

Das Arbeitsgericht hat die Klage bezüglich des den gesetzlichen Mindestlohn von seinerzeit 8,50 Euro je Stunde übersteigenden Anteils der Forderung abgewiesen. Der Anspruch sei insoweit nach § 14 BRTV verfallen. Im Umfang des gesetzlichen Mindestlohns hat es der Klage entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers für die Zeit seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit folgt laut BAG aus §§ 3 Absatz 1, 4 Absatz 1 EFZG. Danach müsse der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Zeit, die infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ausfällt, das Entgelt zahlen, das er ohne den Arbeitsausfall bei Erbringung der Arbeitsleistung erhalten hätte. Damit hat der Arbeitnehmer auch während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Der Anspruch folge jedoch nicht unmittelbar aus § 1 MiLoG, weil nach dieser Bestimmung der Mindestlohn nur für tatsächlich geleistete Arbeit zu entrichten ist. Da der Arbeitnehmer im Fall der Arbeitsunfähigkeit jedoch so zu stellen sei, als hätte er gearbeitet, bleibe ihm auch der Mindestlohn als untere Grenze des fortzuzahlenden Entgelts erhalten. Zugleich gebiete es der Schutzzweck des § 3 Satz 1 MiLoG, nach Maßgabe dieser Norm den Entgeltfortzahlungsanspruch in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns entsprechend zu sichern. Das habe zur Folge, dass Vereinbarungen, welche die Geltendmachung des fortzuzahlenden Mindestlohns im Sinne des § 3 Satz 1 MiLoG beschränken, insoweit unwirksam sind. Zu solchen Vereinbarungen gehören laut BAG nicht nur arbeitsvertragliche, sondern auch tarifliche Ausschlussfristen. Anders als bei Ausschlussfristen, die arbeitsvertraglich in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart sind, unterlägen Tarifregelungen gemäß § 310 Absatz 4 Satz 1 BGB indes keiner Transparenzkontrolle.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2018, 5 AZR 377/17