Gewerkschaftsausschluss muss umgehend oder darf gar nicht mehr erfolgen

Eine Gewerkschaft kann nur dann ein Mitglied aus wichtigem Grund ausschließen, wenn sie den Ausschluss in angemessener Zeit nach Kenntnis der Gründe beschließt. In diesem Zusammenhang hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main entschieden, ein halbes Jahr sei zu lang.

Der Kläger war Mitglied in der beklagten Gewerkschaft und seit 2012 einer ihrer zwei stellvertretenden Bundesvorsitzenden. Im September 2015 schloss die Beklagte ihn aus der Gewerkschaft wegen „nachhaltig und schwerwiegend schädigenden Verhaltens“ aus. Die Beklagte warf dem Kläger unter anderem vor, Beiträge nicht oder nicht korrekt gezahlt, auf einer so genannten freien Liste bei der Betriebsratswahl kandidiert sowie sich im März 2015 kritisch gegenüber einer Zeitung zum Tarifkonflikt der Beklagten mit der Deutschen Bahn geäußert zu haben. Zwischenzeitlich hat der Kläger seine Mitgliedschaft in der beklagten Gewerkschaft selbst gekündigt. Mit seiner Klage begehrt er die Feststellung, dass der Beschluss über seinen Gewerkschaftsausschluss unwirksam sei.

Das Landgericht hat diese Feststellung antragsgemäß getroffen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der Beschluss über den Ausschluss des Klägers sei unwirksam, so das OLG. Keiner der von der Beklagten angeführten Gründe sei (noch) geeignet, den Ausschluss zu rechtfertigen. Die Beklagte könne grundsätzlich ein Mitglied nur aus wichtigem Grund ausschließen. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter der Abwägung der beiderseitigen Interessen müsse eine Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft des Klägers unzumutbar sein, fasst das OLG zusammen. Dabei dürfe der Ausschluss nur innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntnis der Gründe erfolgen. Mit einem längeren Abwarten gebe der Kündigungsberechtigte zu erkennen, dass ihm die Fortsetzung der Mitgliedschaft trotz des Grundes nicht unzumutbar sei.

Hier lägen alle von der Beklagten angegebenen Gründe bereits so weit zurück, dass sie die Unzumutbarkeit der fortbestehenden Mitgliedschaft nicht belegen könnten. Die behaupteten Beitragsrückstände bezögen sich auf die Jahre 2012 bis 2014 und eigneten sich ohnehin nur in gravierenden Fällen zur Begründung eines Ausschlusses. Die Kandidatur auf einer „freien Liste“ betreffe die Betriebsratswahl vor rund eineinhalb Jahren. Eine angemessene Reaktionszeit sei auch insoweit abgelaufen.

Schließlich könne die Beklagte im September 2015 die Unzumutbarkeit der weiteren Mitgliedschaft des Klägers auch nicht mehr auf seine kritischen Äußerungen in einer Zeitung im März 2015 stützen, betont das OLG. Die in der Zeitung wiedergegebene Kritik des Klägers an dem Verhalten der Beklagten im Tarifkonflikt könnte allerdings grundsätzlich als wichtiger Grund für einen Ausschluss in Betracht gezogen werden. Der Kläger habe den mehrfachen massiven Streik der Lokführer als „falsch und schädlich für Deutschlands älteste Gewerkschaft“ bezeichnet. Unter dem Gesichtspunkt der Koalitionsfreiheit sei jedoch für die beklagte Gewerkschaft die Solidarität ihrer Mitglieder und ein geschlossenes Auftreten nach außen von besonderer Bedeutung. Nach der Interessenlage der Beklagten hätte es daher zur Vermeidung weiterer Beeinträchtigungen und eines Ansehensverlustes nahegelegen, auf diese Äußerungen möglichst umgehend mit einem Ausschluss zu reagieren.

Tatsächlich habe die Beklagte jedoch nahezu sechs Monate abgewartet. Damit habe sie deutlich gemacht, dass ihr eine weitere Hinnahme der Mitgliedschaft nicht unzumutbar gewesen sei. Es sei zwar „politisch“ nachvollziehbar, dass die Beklagte bei einem Ausschluss des Klägers noch während des Arbeitskampfes Sorge vor einem „Aufschrei der Öffentlichkeit“ gehabt habe. Dennoch habe sie mit der Hinnahme der Aussagen über rund ein halbes Jahr nach außen zu erkennen gegeben, dass diese Äußerungen auch unter Berücksichtigung ihrer öffentlichen Wirkung kein dringendes Bedürfnis für einen Ausschluss begründeten. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 20.08.2018, 4 U 234/17, rechtskräftig