Kindergeld wegen Behinderung: Familienkasse mit Beschwerde wegen fehlender Mitwirkung des Kindes an Gutachten erfolglos

Folgt das Finanzgericht einem Gutachten, in welchem einem Kind bescheinigt wird, dass es wegen seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, obwohl das Gutachten ohne Mitwirkung des Kindes erstellt wurde, so ist nicht allein deshalb die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, Divergenz oder Verfahrensfehlern zuzulassen. Dies hat der Bundesfinanzhof in einem Verfahren entschieden, in dem es der Kindergeldanspruch für ein erwachsenes Kind strittig war. Die Klägerin ist die Mutter eines im November 1992 geborenen Kindes, für das sie zunächst Kindergeld bezog. Die beklagte Familienkasse hob die Festsetzung ab Februar 2014 auf, weil sie meint, dass für das Kind kein Berücksichtigungstatbestand mehr vorliege. Die Klägerin war hingegen der Auffassung, dass ihr Kind nach § 32 Absatz 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als behindertes Kind zu berücksichtigen sei. Im Klageverfahren wurde ein Sachverständiger damit beauftragt, das Kind zu begutachten. Allerdings gelang es ihm nicht, mit dem Kind ein Gespräch zu führen.

Das FG gab der Klage dennoch statt. Es war davon überzeugt, dass das Kind aufgrund seiner Behinderung im Streitzeitraum (Februar bis November 2014) nicht dazu imstande gewesen sei, sich selbst zu unterhalten. Gegen das Urteil des FG hat die Familienkasse Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Sie meint, das FG habe die Beweislast für den Nachweis der behinderungsbedingten Unfähigkeit zum Selbstunterhalt dadurch umgangen, dass es fremdanamnestische Angaben bei der Erstellung eines Gutachtens akzeptiert habe. Es sei zu klären, ob solche Angaben so zu behandeln seien, als ob das Kind selbst an der Begutachtung mitgewirkt habe, auch wenn die Feststellungslast bezüglich der Ursächlichkeit zulasten des Kindergeldberechtigten gehe. Der BFH hat die Beschwerde als unzulässig verworfen, weil ihre Begründung nicht den Darlegungserfordernissen genüge. Die Familienkasse wende sich in ihrer Beschwerdebegründung dagegen, dass das FG sich wegen der Frage, ob das Kind wegen seiner Behinderung zum Selbstunterhalt nicht imstande war, auf ein Gutachten gestützt hat, das ohne aktive Beteiligung des Kindes zustande kam, weil sich dieses einer Begutachtung verweigerte. Sie habe ihre Einwände als Rechtsfrage formuliert. Jedoch könne die Frage, ob ein über ein behindertes Kind erstelltes Gutachten, das sich auf Fremdanamnese stützt, ebenso aussagekräftig ist wie ein Gutachten, das unter Mitwirkung des Kindes zustande gekommen ist, in dieser Allgemeinheit nicht in einem Revisionsverfahren geklärt werden, unterstreicht der BFH. Denn jedes Gericht habe sich im konkreten Einzelfall eine eigene Überzeugung darüber zu bilden, ob ein Kind aufgrund einer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.

Das FG habe im Streitfall zu diesem Zweck einen Gutachter eingeschaltet, der aus seinem persönlichen Eindruck und aus den ihm vorliegenden Anamnesen und Unterlagen die Schlussfolgerung zog, dass das Kind nicht imstande sei, sich selbst zu unterhalten. Es sei dem Gutachten trotz der fehlenden Mitwirkung des Kindes gefolgt und habe dies im angefochtenen Urteil eingehend begründet. Das FG habe keinen allgemeinen Rechtssatz dahingehend aufgestellt, dass ein Gutachten über die Behinderung einer Person, das ohne deren Mitwirkung zustande gekommen ist, ebenso aussagekräftig ist wie ein Gutachten, an dem die Person mitgewirkt hat. Eine im Allgemeininteresse klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage habe die Familienkasse daher nicht aufgeworfen. Die von ihr angesprochene Frage der Feststellungslast habe sich nicht gestellt, weil das FG davon überzeugt gewesen sei, dass das Kind aufgrund seiner Behinderung außerstande war, sich selbst zu unterhalten.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.11.2017, III B 179/16